Grußwort von Rainer Matsutani im Rahmen der BVR - Veranstaltung auf dem Filmfest München am am 26. Juni 2022

Verbandsnews
"WER SCHMEISST HIER DIE SHOW – kreative Möglichkeiten der Regie"

Liebe Kollegen,

… der Showrunner…

Bevor wir eine Diskussion über das Thema starten können, brauchen wir eine klare Definition des Begriffes, denn es herrscht hierzulande bereits eine große Verwirrung, was ein „Showrunner“ eigentlich ist.

Die Berufsbezeichnung „Showrunner“ schwappte im Zuge der sogenannten

„New Golden Age of TV“, das mit amerikanischen Serien wie „Breaking Bad“, „Games of Thrones“ und „Mad Men“ eingeläutet wurde, direkt in die hiesige Medienlandschaft und wird seit einigen Jahren inflationär gebraucht.

Einige klassische deutsche Produzenten nennen sich plötzlich so, weil sie denken, sie seien eh die Chefs und machen die Ansagen, was tatsächlich salopp mit „running the show“ übersetzt werden könnte.

Regie-Kollegen wollen da nicht ins Hintertreffen geraten und kleben sich nach Abgabe der Regie-Drehbuchfassung für ihren Degeto-Dreiteiler denselben Begriff auf die Stirn.

Natürlich haben auch deutsche Autoren mitbekommen, dass der Begriff Macht & Mitsprache verspricht und dass viele amerikanische Showrunner vom Schreiben kommen. Sie denken sich: „Das können wir doch auch“ und beginnen mit dem Sender um Entscheidungshoheit über Cast und Umsetzung ihres Serien-Piloten zu verhandeln.

Die hier genannten Beispiele sind im klassischen Sinne keine Showrunner und der Begriff ist nicht geschützt. So kann sich jeder Showrunner nennen, genau wie jeder Mediziner sich Schönheitschirurg nennen darf. Oder um in unserer Branche zu bleiben: jeder deutsche Regie-Assistent darf behaupten, er sei ein „First AD“, was in den allermeisten Fällen Etiketten-Schwindel ist. Denn genau wie beim First AD, steht in den USA hinter dem Showrunner ein hochspezialisiertes, industriell geprägtes und seit Jahrzehnten bewährtes System.

Es sprengt bei weitem mein Grußwort, um Historie und Arbeitsweise des amerikanischen Showrunner-System auch nur annähernd zu beschreiben.

Daher in Kürze nur ein paar Fakten und Schilderungen:

Showrunner MÜSSEN schreiben können! Der Ursprung des Showrunners in den USA sind Autoren, NICHT Regisseure.

Showrunner heißt aber nicht unbedingt gleichzeitig Creator. Manchmal übernimmt ein Showrunner z.B. in der 4. oder 5. Staffel vom Creator/ Showrunner die Serie, um frischen Wind reinzubringen.

Wie sieht der Alltag eines klassischen US-Showrunners aus?

Morgens geht er zur Mischungsabnahme von Folge 2, danach schaut er sich Folge 4 Schneideraum an und arbeitet mit der Cutterin am Dritter Akt, der nicht funktioniert. Dann hetzt er in den Writer’s Room, Episode 8 fühlt sich lahm an und die Autoren warten auf erlösende Einfälle des Chefs.

Zwischendurch geht es schnell ans Set, um zu schauen, wie der neue Regisseur arbeitet. Dort muss er telefonieren, einen berühmten Schauspieler zu überreden, eine Episoden-Hauptrolle zu übernehmen usw. usw.

Das hört sich nach großer Verantwortung und ist es auch. Was sind die Aufgabenbereiche eines Showrunners?

Der Showrunner in den USA ist verantwortlich, dass die Drehbücher im Writer’s Room pünktlich fertig werden und er hat das letzte Wort bei casting, location, production design - und jetzt kommt es ganz hart für unsere Zunft: auch bei der Wahl des Regisseurs einer Episode. Er steht also in der Hierarchie über der Regie. Er wird sogar in die Budget-Verantwortung eingebunden, die Grenzen zum Produzenten sind also fließend. Deswegen erhält er auch den Titel "Executive Producer".

Was bedeutet die Einführung des Systems in Deutschland -falls diese wirklich stattfindet- für uns Regisseure im seriellen Bereich?

Der Regisseur als alleiniger Herrscher am Set gilt nur bedingt, denn seine künstlerische Gestaltungshoheit wird vom Showrunner beschnitten. Der Regisseur, der unter einem Showrunner arbeitet, muss also ein Team-Player sein und sich der „Vision“ des Showrunners unterordnen.

So habe ich bei meiner Serie SPIDES alle letzten Entscheidungen bei z.B. Besetzung, Location-Auswahl, Kostüme und visuelle Erzählweise selbst getroffen. Mein Co-Regisseur Joern Heitmann, ein unglaublich talentierter Kollege, mußte sich am Anfang zähneknirschend fügen. Doch bald waren wir eingespielt und es klappte wie am Schnürchen, denn Joern hat sich als vorzüglicher Team-Player erwiesen und mich als „Nadelöhr“, durch das alles gehen mußte, akzeptiert.

Ich selbst machte übrigens dieselbe Erfahrung wie er: als einer der Stamm- Regisseure der ZDF-Diversity-Serie „Dr. Klein“ unterstand ich dem Showrunner und Creator Torsten Lenkeit. Auch meine Team-Fähigkeit wurde geprüft, wobei den Regisseur*innen mehr Freiheiten beim Inszenieren und bei der Bildgestaltung gelassen wurden.

Man kann daraus folgern: das System „Showrunner“ ist, was die Arbeitsaufteilung betrifft, nicht ganz so starr (wie z.B. das AD-System). So gibt es z.B. in den USA seit einiger Zeit den producer/director-showrunner, der das Set am Laufen hält während sich der eigentliche Showrunner auf die Fertigstellung der Drehbücher im Writer’s Room konzentriert. Dennoch behält auch hier der schreibende Showrunner gegenüber dem director-showrunner die künstlerische Kontrolle.

Für die nicht-schreibenden, seriell arbeitenden Regisseure gilt es also, im Vorfeld einer neuen Produktion die Arbeitsaufteilung und -weise mit dem Showrunner genauestens abzusprechen, um Konflikte zu vermeiden.

Der Creator und Showrunner von „Dr. Klein“ konnte sich auf mich verlassen, dass ich sein Werk als Regisseur in seinem Sinne umsetze und ehrlich gesagt genoss ich auch den Umstand, dass ich mich völlig aufs Inszenieren konzentrieren konnte und den Ballast vieler Entscheidungen von den Schultern hatte.

Denn die Funktion als Showrunner bei einer eigenen Serie bedeutet aufgrund der hohen Verantwortung und vielen Anforderungen einen nie gekannten Stress-Pegel, wie ich kurz darauf bei SPIDES erfahren musste. Wenn es vom Budget her möglich ist, würde ich in Zukunft lediglich den Piloten und die 2. Episode drehen und ggf. das Staffelfinale. Das ist auch in den USA oft der Fall und macht Sinn.

Welche Chancen bietet das Showrunner-System für die schreibenden Regisseur*innen hierzulande, insbesondere in der Konkurrenz zu den deutschen Autor*innen?

Viele amerikanischen Showrunner betonen in Interviews : ein guter Autor ist nicht automatisch ein guter Showrunner. Denn oft ist die Persönlichkeit eines Autors introvertiert. Der Showrunner muss jedoch viel delegieren und viel kommunizieren.

Hier sehe ich die Chance für uns schreibende Regisseur*innen, denn wir sind das Delegieren innerhalb des Teams und das Kommunizieren mit Produktion und Redaktion bis zum Abwinken gewohnt.

Ein zweiter Faktor, der uns Regisseuren hilft, ist die Tatsache, dass die heutigen Episoden immer cinematographischer / bildaufwändiger werden.

Nicht viele Autoren haben die Set-Erfahrung und das visuelle Verständnis, das wir uns angeeignet haben.

Mit dieser Souveränität, die wir uns in mühevollen Projekten erarbeitet haben, sollten wir uns selbstbewußt den Anforderungen stellen, und nicht defensiv agieren wie bei der Kontrakt 18 - Diskussion.

Zum Schluß bleibt die Frage, ob das Showrunner-System sich durchsetzt.

Das hängt viel mit den strukturellen Beharrungskräften zusammen. Im Falle des amerikanischen 1st AD-Systems ist die Einführung gescheitert: die deutschen Produktionsleiter und Aufnahmeleiter haben sich ihre Kompetenzen nicht beschneiden lassen.

Man muß sehen, wie hierzulande Produzenten und Redakteure auf das Auftauchen des „Showrunners“ reagieren. Im Moment ist die Bezeichnung

„Showrunner“ mehr eitles Spiel mit Etiketten als gelebte Berufswirklichkeit. Dabei plädiere und kämpfe ich für diesen „neuen Job“, denn er birgt die Möglichkeit, aufgrund seiner Machtfülle einer Serie einen einzigartigen künstlerischen Stempel aufzudrücken und sie nicht in endlosen Diskussionen als zerredeter Kompromiss enden zu lassen.