Pier Paolo Pasolini im Neuen Berliner Kunstverein & Babylon Mitte

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Berlin
Anlässlich der Ausstellung über Pier Paolo Pasolini im Neuen Berliner Kunstverein und der dazugehörigen Filmreihe im Babylon Mitte hier ein kleiner Text zu dem Poeten, Filmemacher und Intellektuellen...

Anlässlich der Ausstellung über Pier Paolo Pasolini im Neuen Berliner Kunstverein und der dazugehörigen Filmreihe im Babylon Mitte hier ein kleiner Text zu dem Poeten, Filmemacher und Intellektuellen Pasolini, der für mich zu den Genies der Filmgeschichte gehört wie etwa Chaplin, Kubrick oder Fassbinder.
 

1985, im zarten Alter von fünfzehn Jahren sah ich im Babylon Kreuzberg in einer Pasolini-Nacht seine „Trilogie des Lebens“: „Il Decameron“, „I racconti di Canterbury“ und „Il fiore delle mille e una notte“, also über fünf Stunden Pasolini hintereinander (an dieser Stelle noch mal ein Dankeschön an das Babylon, dass ich ins Kino durfte, obwohl alle drei Filme FSK 18 sind). Ich tauchte zum ersten Mal in die Welt von Pasolini ein und begab mich so auf eine Reise, die sich danach anfühlte, als hätte sie tatsächlich, also physisch, stattgefunden. 
 

Seitdem lässt mich das Werk von PPP nicht mehr los. Bis heute habe ich nie wieder Freude und Schmerz des menschlichen Daseins so wild, frei und poetisch und jenseits jeder klassischen Dramaturgie im Film dargestellt gesehen. So viel Freiheit hat seinen Preis. PPP wurde anfangs wegen seiner Filme beschimpft, bedroht, verklagt wegen Blasphemie, Pornographie und Staatsbeleidigung, später auch einfach wegen seiner Existenz, seines politischen Engagements als überzeugter Marxist, seiner offen gelebten Homosexualität. Systematisch wurden ununterbrochen Prozesse gegen ihn und sein Werk geführt und PPP nahm den Kampf an und äußerte offen seinen Hass und seine Abneigung gegen den Staat, die Justiz, das Kleinbürgertum und die postfaschistische Gesellschaft. Hass sei allerdings sinnlos äußerte er in einem Interview, doch die Verlogenheit der kleinbürgerlichen Gesellschaft und die Grausamkeit jeglicher Form von Macht von Menschen über andere Menschen demaskierte und verurteilte er in seinen Filmen, Texten und Interviews ungebrochen und mit radikaler Entschlossenheit weiter. 
 

Diese Entschlossenheit findet ihren Höhepunkt 1975 in seinem letzten Film: „Salò o le 120 giornate di Sodoma“, der in mehreren Ländern zeitweise, bzw. zum Teil bis heute verboten ist, u.a. in Italien und Frankreich verboten war, beschlagnahmt wurde, im Schnitt zensiert, weltweit geächtet und verurteilt wurde. In Salò, einem faschistischen Marionettenstaat des vom Deutschen Reich besetzten Norditalien, leben ein Herzog, ein Richter, ein Bischof und ein Banker hemmungslos ihren sadistischen Machttrieb aus, indem sie eine Gruppe von jungen Frauen und Männern 120 Tage lang foltern und demütigen und schließlich in einem Zustand der Ekstase ermorden. Noch nie habe ich Gewalt und Macht im Film so eindringlich und kompromisslos erzählt gesehen wie in „Salo“. „Sexualität als Metapher der Macht“ hat Pasolini selbst es beschrieben. Für mich ist „Salo“ deshalb auch der am schwersten zu ertragende Film und zugleich vielleicht der wichtigste Film der Filmgeschichte. Pasolini selbst hat die Premiere nie erlebt. Im November 1975 wurde er ermordet und seine Leiche im Hafen von Ostia zwischen Baracken und Müll gefunden.
 

So schockierend „Salo“ ist, so berührend und liebevoll, ist das anarchische Märchen „Uccellaci e Uccellini“, in dem ein ulkiger Vater mit seinem komischen Sohn durch die karge Landschaft der italienischen Provinz streifen und Gespräche mit Spatzen führen und Kapitalismuskritik und religiöse Fragen sich abwechseln. „Was will dieser Gott von uns?“ heißt es da und: „Liebe“, lautet die einfache Antwort. Mein persönlicher Lieblings-Pasolini mit gesungenen Credits und wunderbarer Musik von Ennio Morricone. Natürlich mit den für Pasolini so typischen Großaufnahmen von Gesichtern, abwechselnd mit Totalen, die Orte erzählen wie Gemälde. 

 

Was würde Pasolini heute machen, in einer Zeit, in der in Italien die Postfaschisten regieren und in Deutschland und anderen Ländern Neonazis Wahlen gewinnen und das Kleinbürgertum seine hässliche Fratze zeigt (Stichwort: Asylrecht)? Er würde sicher einen Film machen und wenn er verboten und zensiert würde, würde er sich wehren und Partei ergreifen für die Unterdrückten. 
 

Ohne zu glauben, dass wir ihm das Wasser reichen können, sollten wir ihm nacheifern.

 

GUARDA PASOLINI !!


Nicolai Max Hahn, September 2024